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Lesesucht

"Lesesucht, die Sucht, d.h. die unmäßige, ungeregelte auf Kosten anderer nöthiger Beschäftigungen befriedigte Begierde zu lesen, sich durch Bücherlesen zu vergnügen." (Joachim Heinrich Campe) Tatsächlich gab es zum Ende des 18. Jahrhunderts bis in den Beginn des 19. Jahrhunderts eine Debatte darüber, ähnlich wie die heutzutage geführten Diskussionen über Fernsehsucht, Videospielsucht oder Social Media-Sucht. Betrachtet man die heutige Mediennutzung vor allem bei jungen Menschen, so kann man überhaupt nicht glauben, dass es Menschen gegeben hat, die in Büchern eine Gefahr gesehen haben. Zumal sie komplett unplugged sind und keine Einfallstore für Online-Hass oder falsche Vorbilder bieten. Die meisten Eltern heutzutage wären oder sind stolz, behaupten zu können, dass ihr Kind eine Leseratte ist. Leseratte - eigentlich ein echt seltsamer Begriff... Immerhin verbinden kaum Menschen irgendwelche positiven Gefühle mit Ratten und Ratten sind jetzt auch nicht unbedingt dafür bekannt, ihre Nahrung zu verschlingen. Dahingehend wäre Leseschlange die weitaus bessere Bezeichnung. Aber zurück zur Lesesucht. Diese lässt sich nämlich auf den Umstand zurückführen, dass zur damaligen Zeit ein Wandel der Nutzung von Büchern stattgefunden hat. Galten sie doch zunächst als Werke, die eine didaktische Absicht verfolgten, so entwickelten sie sich mit Goethes "Die Leiden des jungen Werthers" und zahlreichen Kinder- und Jugendbüchern davon weg. Zudem veränderte sich das Leseverhalten, da nicht mehr wiederholt eine kleine Auswahl an (meist religiösen) Büchern intensiv rezipiert wird, sondern viel mehr nach Lust und Laune zu möglichst vielen Büchern gegriffen wird. Vor allem Frauen und Jugendliche, die durch das neue Angebot erstmals erreicht wurden, galten als besonders gefährdet, der Lesesucht zu verfallen. Wie so viele Diskussionen verschwand aber auch nach einiger Zeit und die neue Art, Bücher zu konsumieren, wurde zur Gewohnheit und Normalität. 

Heute sieht das, wie bereits erwähnt, meistens etwas anders aus. Was ich tatsächlich aber auffallend an der Entwicklung der letzten Jahre finde, ist, dass sich immer mehr Menschen in einem Buch äußern wollen und zu Autor*innen werden. Und das obwohl ja, überspitzt gesagt, niemand mehr liest. Vielleicht treiben uns ja die Sozialen Medien, deren Kürze und der, daraus resultierende Wunsch nach dem Gehörtwerden geradewegs wieder in die Arme des Buches - wünschen würde ich es mir. Zum Welttag des Buches muss aber auch ich zugeben, dass ich kaum mehr lese. Im Studium wird man den ganzen Tag mit irgendwelchen Texten zugeballert, dass es am Ende des Tages viel entspannender ist, sich vor den Fernseher zu setzen und mit einer Serie, die man sowieso schon auswendig kennt, berieseln zu lassen. Allerdings, wenn ich jetzt so recht darüber nachdenke, könnte ich auch echt mal wieder etwas lesen. Für alle, die einen Tipp brauchen: Mein letztes Buch (neben den Känguru-Chroniken...) war "54 Minuten" von Marieke Nijkamp. Die Geschichte hat mich echt gefesselt, schockiert und sehr nachdenklich gemacht. Beschrieben werden 54 Minuten an einer Highschool in Alabama, in denen ein ehemaliger Schüler einen bis ins kleinste Detail geplanten Amoklauf ausübt. Die Handlung wird dabei aus vier unterschiedlichen Perspektiven von Schüler*innen, die sich allesamt im Gebäude befinden erzählt und durch erfundene Chat-Nachrichten oder Blog-Einträge von direkt Betroffenen und indirekt Beteiligten am Ende jedes Kapitels ergänzt. Das Wichtigste vorweg, das Buch erzählt keine Heldengeschichte, es erläutert auch nicht den psychischen Zustand des Schützen. Alles, was man als Leser*in erfährt, sind die Beobachtungen, Vermutungen und Gefühle der vier erzählenden Personen, welche allerdings durchaus in verschiedenen Beziehungen zum Schützen stehen. Mich persönlich hat dieses Buch sehr zum Nachdenken angeregt - über meine eigene Schulzeit und die Beziehungen, in denen ich zu den Menschen dort stand, über meine jetzigen Bekannt- und Freundschaften, aber auch über das Leben allgemein. Am Ende bleibt der Eindruck: Wenige Minuten können die Geschichte eines Menschen verändern. In wenigen Minuten kann die Geschichte anderer Menschen zu Ende erzählt sein. Das Buch führt einem also auf keineswegs schonende Weise vor Augen, wie glücklich man sich, vor allem als junger Mensch, schätzen muss, sein ganzes Leben noch vor sich zu sehen und alle Entscheidungen selbst in der Hand zu haben. 

Puh, das war jetzt ein hartes Thema und zu Anfang gar nicht beabsichtigt, dass dieser Text eine solche Wendung nimmt. Aber wenn wir jetzt schon dabei sind, wie glücklich man über das eigene Leben sein sollte, dann kann ich dem philosophischeren Teil dieses Textes auch noch ein Video hinzufügen, das mich in dieselbe Richtung gehend, zutiefst bewegt hat.     

Zum Tag der englischen Sprache passt es ja auch ganz gut, dass es sich um ein englischsprachiges Lied in einer britischen Castingshow handelt. 

Irgendwie ist mir jetzt allerdings nicht ganz klar, wie ich von diesem Thema die Kurve zu Laboren bekommen soll, also starte ich einfach nochmal von vorne.

Heute ist auch Welttag des Labors. Ich glaube ja, dass man sich als Nicht-(Natur-)Wissenschaftler*in ganz falsche Dinge unter Laboren vorstellt. Hat nicht jede*r ein klinisch reines, mit High-Tech-Geräten ausgestattetes Zimmer, in dem Menschen konzentriert schweigend vor Behältern mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten, aus denen es dampft, blubbert und ab und an auch mal schäumt, im Kopf?

Ich selbst war noch nie in einem richtigen Labor, aber gemessen an der Tatsache, dass Geologie auch eine Wissenschaft ist, der man im Labor nachgehen kann, muss es ja tatsächlich der Fall sein, dass es Labore gibt, in denen keine komischen Flüssigkeiten blubbern, sondern Steine beobachtet werden. Die Naturwissenschaft der früheren Zeit lässt mich sowieso die Frage stellen, ob es überhaupt notwendig ist, so ein Aufheben um Labore zu machen. Immerhin ist Isaac Newton der berühmte Apfel wohl kaum in einem Labor auf den Kopf gefallen oder soll Galilei seinen berühmten Satz "Und sie bewegt sich doch" nicht innerhalb einer wissenschaftlichen Einrichtung, sondern beim Verlassen des Inquisitionsgerichts gemurmelt haben. O.K., es ist vielleicht etwas fraglich, ob diese Geschichten stimmen, aber trotzdem werden Labore viel zu sehr gehyped. Hallo, immerhin leben in einigen Ratten!?! Wenn das mal nicht von fehlender Hygiene zeugt! Außerdem sind Labore eine einzige große Drogenküche. Oder aber ein riesiges Waffenarsenal. Ja ja, ich übertreibe ein bisschen und kann wohl damit auch niemanden überzeugen... immerhin finde ich Labore ja selbst total cool! Sie erwecken auf jeden Fall Neugier, vielleicht auch ein bisschen Unbehagen, weil man nie weiß, was darin wirklich passiert, aber jede*r würde es gerne herausfinden. Bei uns auf dem Campus ist es besonders spannend, weil dort Studierende immer mal wieder irgendwelche Sachen aus den Laboren irgendwo hinbringen und dabei mit weißem Kittel, Schutzbrille und überdimensionalen Ofenhandschuhen über das Gelände laufen. Ich habe allerdings noch nie beobachten können, wohin sie verschwinden. Vielleicht gibt es bei uns auf dem Campus ja so etwas wie ein Gleis 9 3/4 und in diesen Behältern sind die Zutaten für irgendwelche Zaubertränke... Maaaann, ich will wissen, was in diesen Laboren vor sich geht, aber wahrscheinlich wird nur so ein großes Geheimnis darum gemacht, damit die Wissenschaftler*innen ungestört ihre Kaffeepause darin verbringen und ausnahmsweise unqualifizierte Dinge äußern können, ohne dass die ganze Welt davon mitbekommt.

Damit beende ich dieses überraschenderweise sehr lange gewordene Daily Update und wünsche noch einen schönen Rest-Donnerstag!

 

Und immer schön daran denken: "We are the lucky ones!"  

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