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Zwischen den Zeilen

Heute ist der internationale Tag der Freundschaft! Ein sehr wichtiger Tag, wie ich finde. Immerhin prägt uns wahrscheinlich niemand so sehr wie unsere Freund*innen. Und immerhin brauchen wir wahrscheinlich auch nichts anderes, solange unsere Freund*innen bei uns sind. Aber Freundschaft ist ein wahnsinnig kostbares und empfindliches Gut. Umso verblüffender finde ich es, dass gerade eine Freundschaft häufig ohne Worte funktioniert. Vielleicht ist das sogar der Indikator für eine besonders gute Freundschaft. Trotzdem habe ich in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht, wie man mit seinen engsten Vertrauten umgeht, was man ihnen sagt und nicht sagt oder wie man sich in ihrer Gegenwart verhält. 

Das Ergebnis: Eigentlich ist es überhaupt nicht zu erklären, dass Freundschaften funktionieren und trotzdem tun sie es. 

Zunächst einmal basiert eine Freundschaft immer auf einem Vertrauensvorschuss, den man seinem Gegenüber zugesteht. In einer Welt, in der Sicherheit und Vertraglichkeit eine solch große Rolle spielt wie in unserer, macht man das normalerweise nicht, sondern verlangt in der Regel eine Gegenleistung zur Absicherung. Bei einer beginnenden Freundschaft aber nicht. Man gibt einer beinahe fremden Person aufgrund einer vagen Vermutung die Macht, die eigene Person komplett zu zerstören. Einfach nur weil man dieser einen Person, in dem guten Glauben, dass sie ihre Macht nicht missbraucht, seine Schwächen offenbart. Warum aber machen wir das? - Weil wir darauf hoffen, dass genau das Gegenteil passiert und diese Person uns nicht schlechter, sondern besser macht, als wir eigentlich sind. Dass diese eine Person uns nicht die Klippe hinunterschubst, sondern unten steht und uns auffängt. Sie uns nicht tötet, sondern so lebendig wie nie zuvor macht. All das geben wir dieser einen Person in die Hand und tatsächlich werden wir in den wenigsten Fällen enttäuscht. 

Denkt man allerdings so darüber nach, welche Handhabe und welchen Einfluss unsere Freund*innen auf unser eigenes Leben haben, so fällt einem früher oder später auch auf, dass ein*e Freund*in eine enorme Verantwortung trägt. Eine Verantwortung, die, wenn alles gut läuft, nicht als solche zum Vorschein kommt. Doch geht es einem*einer Freund*in schlecht, so ist es in der Verantwortung des*der Freund*in mit offenem Herzen parat zu stehen und alles, was auf den*die Andere*n einprasselt mit zu ertragen. Wie verrückt ist es, dass wir uns quasi nie dafür bedanken? 

Sowieso besteht eine Freundschaft aus unglaublich vielen großen und kleinen, unsichtbaren Selbstverständlichkeiten, die viel zu häufig untergehen. Eine dieser Selbstverständlichkeiten ist die Zeit. Freund*innen nehmen sich Zeit füreinander ohne zu fragen. In den fünf Minuten, die man sich nimmt, um vor der Heimfahrt noch schnell einige blöde Witzeleien auszutauschen, könnte eine Person so viele andere Dinge tun. Sie könnte beispielsweise eineinhalb Lieder anhören, ein Mini-Workout beginnen, meditieren oder einige Seiten in einem Buch lesen. In den 30 Minuten, die man damit verbringt, unwichtige Chatnachrichten zu beantworten, könnte man eine Folge seiner Lieblings-Sitcom schauen, einen Apple-Crumble backen oder das Bad putzen. In den zwei Stunden, die man damit verbringt, um sich eine Kleinigkeit einfallen zu lassen, die dem*der Anderen eine Freude macht, könnte man mit der Bahn von Stuttgart nach Karlsruhe fahren oder ein komplettes Fußballspiel anschauen. Und nicht zu vergessen: In den zahlreichen Stunden, in denen man gemeinsam Dinge unternimmt, könnte man auch lernen, das eigene Leben sortieren oder eine Firma gründen. In allen Fällen entscheidet man sich dennoch, die Zeit mit seinen Freund*innen zu verbringen - selbstverständlich. Wann spricht man jemals darüber?

Das paradoxeste an Freundschaften ist doch aber, dass man nicht nur die Dinge, die eine Freundschaft ausmachen, unausgesprochen lässt, sondern vielmehr auch den*die Freund*in eher zwischen seinen eigenen Zeilen lesen lässt, statt ihm direkt zu sagen, was Sache ist. Vielleicht, um unsere Freund*innen zu schützen und ihnen nicht die Last der Verantwortung aufzubürden. Vielleicht aber auch, weil man es einfach nicht so macht. Weil man manche Dinge in unserer Gesellschaft nicht ausspricht. Geht es jemandem schlecht, hofft man darauf, dass der*die Freund*in es bemerkt und sich meldet. Möchte man gerade die ganze Welt umarmen, schluckt man es herunter und ersetzt die unermessbare Liebe durch distanzierte und oberflächliche Floskeln. 

Das Schöne an einer Freundschaft ist: Man muss über all diese Dinge nicht sprechen. Ich für meinen Teil tue es auch nicht, doch an manchen Tagen denke ich, dass man einfach einmal ein paar Sekunden lang mutig sein sollte und all seine Gedanken in die Welt hinausschreien sollte. Vor allem, um die Menschen, die einem am wichtigsten im ganzen Leben sind, nicht aus seinem Leben auszuschließen und sie zeitgleich aber auch auf die vielen tollen Details, die man an ihnen schätzt und gerne hat, aufmerksam zu machen. Nur um sie daran zu erinnern, was sie ausmacht und ihnen einen Perspektivwechsel auf sich selbst anzubieten. Dafür sollten Freund*innen da sein. Immer! Es braucht keinen besonderen Anlass, um schöne Dinge zu reflektieren. Vielleicht überrascht man seine Freund*innen mit grenzenlos positiver Offenheit, aber ich bin mir sicher: Wenn es die richtigen Menschen sind, dann hat man absolut nichts zu verlieren! 

Jeder einzelne Mensch bewundert doch Andere. Warum also sagen wir es diesen Menschen nicht einfach? Warum schreien wir nicht einfach mal in die Welt hinaus, was alle wissen sollten? 

Ich für meinen Teil möchte, dass die Menschen um mich herum, die sich vielleicht selbst nicht für Held*innen halten, wissen, dass ich sie als solche sehe - so wie sie sind, aus meiner Perspektive ganz und gar perfekt und es gibt nichts auf dieser Welt, das sie tun könnten, um das zu ändern! Alles, was es dafür braucht, sind einige Sekunden Mut und die richtigen Worte. Und wer weiß, vielleicht verändert ihr damit für einige Minuten oder Stunden die Welt eures Freundes* oder eurer Freundin*. Ich würde es mir wünschen... 

Zitate von: Kate Bradley - "Good Sam", P!NK - "F***in' Perfect", Bruno Mars - "Just The Way You Are", Wincent Weiss - "Wir sind", Barney Stinson - "How I Met Your Mother", Johannes Oerding - "Zweites Gesicht", Coldplay - "Fix You"

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