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Mittelfinger online

"Das Internet ist für uns alle Neuland." Wer kennt dieses Zitat unserer Bundeskanzlerin nicht? Doch mittlerweile ist das World Wide Web tatsächlich 31 Jahre alt. Ihr glaubt mir nicht? Dann überprüft es gerne in der Wikipedia (die uns übrigens ohne die Entwicklung von Tim Berners-Lee tatsächlich auch nicht regelmäßig aus der Klemme helfen würde). Oder geht in eine Bücherei, wenn ihr ohne das Internet auskommen möchtet. Als das Projekt am 12. März 1989 am CERN vorgestellt wurde, war es zunächst nicht öffentlich zugänglich und auch nachdem das World Wide Web 1991 weltweit verfügbar gemacht wurde, war es wohl eher etwas für Expert*innen. Heutzutage ist es schwieriger, sich dieser vernetzten Parallelwelt zu entziehen, statt sie überhaupt zu entdecken. Das Internet, Hyperlinks, Webseiten und HTML-Adressen sind allgegenwärtig. Mobile Endgeräte entkoppeln uns von räumlichen Abhängigkeiten und bieten uns die Möglichkeit, zu jeder Zeit in Sekundenschnelle auf einen unbegrenzten, kollektiven Wissensspeicher zuzugreifen. Hat die Dampfmaschine im 18. Jahrhundert die Welt beschleunigt, so hat das Internet und World Wide Web Generationen von Menschen in eine Art Dauersprint versetzt. Diese Entwicklung ist heute spürbar: Nachrichten landen im Netz, bevor sie überprüft wurden, Meinungen verbreiten sich ungefiltert wie Lauffeuer und an jeder Ecke poppen neue Trends, Stars und Sternchen auf. Ein einzelner Mensch kann das Spektrum des Internets nicht mehr überblicken. Insofern kann es also auch gefährlich werden, wenn das Internet als unantastbare und einzige Wissensquelle angesehen wird. Das World Wide Web ist viel schneller als das menschliche Leben und kann überfordern. Der richtige Umgang damit muss mühsam gelernt werden. Generation X ist damit aufgewachsen und kann die Probleme der Älteren nicht nachvollziehen. Doch genau das meinte Merkel damals, als sie das Internet als "Neuland" bezeichnete - unreglementiertes, unbekanntes Terrain mit ungewiss großem Potential, auf das man sich begeben muss, ohne auf Erfahrungen zurückgreifen zu können.  Vielleicht ist das Internet der technische Inbegriff der Demokratie, vielleicht ist es aber auch der technische rechte Arm der Diktatur. Es ist zweifelsohne ein ambivalentes Medium, dessen Unermesslichkeit bis heute von Laien nicht überblickt werden kann und dennoch eine der wichtigsten und voranbringendsten Erfindungen des 20. Jahrhunderts. Und genau das sollten wir am heutigen Tag des World Wide Webs feiern.

Eine Sache geht mir allerdings richtig auf die Nerven, wenn ich das Internet benutze: Suchmaschinen. Keine Frage, sie sind absolut nützlich, aber manchmal ist es einfach unglaublich schwierig das gewünschte Ergebnis zu erhalten. Allein Google besitzt ja schon unterschiedliche Plattformen zur Suche von Bildern, wissenschaftlichen Quellen oder allgemeinen Infos. Unter diesen abertausenden Ergebnissen das gewünschte herauszufinden, kann schon ganz schön zeitaufwendig sein und man muss eigentlich gefühlt ein Studium abschließen, um alle Suchvektoren zu kennen und sinnvoll einsetzen zu können. Da würde ich schon manchmal gerne einfach den Mittelfinger auspacken.

Aber ich bin ja gut erzogen und weiß, dass man das nicht macht. Außerdem hat meine Computertastatur leider noch keine Funktion, um den Mittelfinger-Emoji in das Googlesuchfeld einzutippen. Immerhin hat WhatsApp das unmissverständliche Symbol endlich in seinen Emoji-Fundus aufgenommen. So nähert sich die Online-Kommunikation einmal mehr der direkten, mündlichen Kommunikation an. Und sind wir mal ehrlich, um auf kleine Neckereien über WhatsApp zu reagieren, war der Online-Mittelfinger einfach notwendig. Tatsächlich kann der erhobene Mittelfinger aber auch als Beleidigung strafrechtlich geahndet werden. Eigentlich ist es doch sowieso unfair, dass einfach ein Finger als beleidigende Geste auserkoren wird. Zumal der Mittelfinger vor allem wirklich nützlich ist. Er ist nämlich der stärkste Finger unserer Hand und somit essentiell wichtig für unsere Greiffähigkeit. Zudem kann er durch seine Beweglichkeit auch die Funktion des Zeigefingers nahezu ersetzen. Trotzdem war es in der Schule immer eine der komischsten Sachen, wenn der*die Lehrerin an der Tafel statt des Zeigefingers den Mittelfinger zur Erklärung verwendet hat. Vielleicht aber auch nur, weil der Finger eben im Kindesalter ähnlich wie die Wörter "Sch***e" oder "A*****loch" tabuisiert werden und man somit das Gefühl bekommt, die Geste sei in jeder Hinsicht verwerflich. 

Richtig ist es, dass der Mittelfinger nicht in beleidigender Absicht verwendet werden sollte, weil Beleidigungen einfach absolut unnötig, nichtseinbringend und hochgradig verletzend sind, weshalb sie gänzlich aus der Welt geschafft gehören. Einen Finger, der rein anatomisch nur ein Körperglied ist deshalb zu verteufeln, ist aber dennoch ein bisschen zu weit gegriffen. Deshalb schlage ich zum heutigen Tag des Mittelfingers vor, dem Mittelfinger einmal gebührend Respekt entgegen zu bringen. Zum Beispiel, indem man seinen Einsatz beim Tippen schätzt, ihm beim Musizieren etwas Gymnastik gönnt oder bei jeden Griff daran denkt, dass dieser nur dank des längsten Fingers an unserer Hand möglich war.

 

Damit wünsche ich einen grandiosen Samstag und eine schöne Zeit, on- und offline!

  

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